Die Geschichte des Palastes in Korczew: vom Kult um den Menhir-Stein über die Korrespondenz Norwids mit Joanna Kuczyńska bis zum Wiederaufbau der Ruine nach vielen Jahren und dem jüngsten Brand.
Wir wissen, dass das Gebiet um Korczew sehr früh besiedelt war. Davon zeugt der Menhir-Stein, der in vorchristlicher Zeit vermutlich ein Kultobjekt war. Die erste schriftliche Quelle, in der Korczew erwähnt wird, ist die Urkunde zur Belehnung des Praeturs von Brest mit dem Dorf durch den Herzog von Masowien, Janusz I aus dem Jahre 1401. Einige Jahre später taucht eine andere Belehnungsurkunde, diesmal ausgestellt durch den litauischen Herzog Witold. Korczew lag damals in einem Grenzgebiet, das oft den Besitzer wechselte.
Wir kennen die Namen und einige Fakten aus dem Leben der Nachkommen des Praeturs und der Familien, die Korczew von ihnen geerbt haben. Sie hinterließen jedoch nicht viele physische Spuren. Insbesondere ist nicht bekannt, wo sich damals das Herrenhaus in Korczew befand. Es ist möglich, dass es an der Stelle des heutigen Palastes oder der Villa Sibirien stand, aber es sind keine Spuren davon erhalten.
Das bedeutendste Denkmal aus dieser Zeit ist die Renaissance-Pfarrkirche in Knychówek, die 1631 von Krzysztof Wiesiołowski gestiftet wurde. In folgenden Jahrhunderten wurde die Kirche von den aufeinanderfolgenden Besitzern des Gutes Korczew finanziell unterstützt.
Der Erbauer des Palastes in Korczew war Wiktoryn Kuczyński, der Kastellan von Podlachien und der Gründer der Kirchen in Drohiczyn, der ein Vermögen machte, indem er mit Flössen Getreide nach Danzig transportierte. Das Herrenhaus in Korczew sollte für seinen jüngeren Sohn Leon gebaut werden. Mit dem Entwurf des Gebäudes wurde der Architekt Konceni Boni betraut. Aus dieser Zeit stammt der älteste Teil des Palastes, also der Ballsaal mit dem originalem Rokoko-Stuck. Über dem zentralen Eingang zum Saal befindet sich das Ślepowron-Wappen, den die Familie Kuczyński führte. Hier fanden die von Leon Kuczyński organisierten Versammlungen der Konföderierten von Bar statt.
Der erste dokumentierte Wiederaufbau des Palastes fand in den 1830er Jahren statt, als Aleksander Kuczyński für diese Aufgabe Franciszek Jaszczold engagierte, einen Architekten, der sich in der Region Podlachien und Grodno großer Popularität erfreute.
Die größten Veränderungen führte Jaszczołd jedoch nicht im Palast selbst, sondern in seiner Umgebung ein. Der Architekt gestaltete den Park neu, den er im damals modischen englischen Stil gestaltete. Er errichtete auch das zweitgrößte Gebäude auf dem Gelände, nämlich „Sibirien“ – eine Sommervilla im für Jaszczołd typischen neugotischen Stil mit unregelmäßigen Plan und solidem Baukörper, der mit Giebeln und Dächern auf verschiedenen Ebenen fragmentiert ist.
Damit spiegelt das Gebäude die romantischen Fantasien seiner Entstehungszeit wider: von der Nordseite erinnert es an eine mittelalterliche Burg, von der Westseite dagegen an ein polnisches Herrenhaus. Er entwarf auch eine Orangerie im rückwärtigen Bereich des Palastes (heute eine Kapelle) und den nahe gelegenen St. Johannes Nepomuk-Brunnen.
Trotz der enormen Erweiterung der Anlage, die von Aleksander Kuczyński vorgenommen wurde, hat sich seine Frau, Joanna Kuczyńska geborene Wulfers stärker ins Gedächtnis der Nachwelt geprägt. Grund dafür ist ihre enge Bekanntschaft mit dem berühmten polnischen Dichter Cyprian Norwid, mit dem sie 15 Jahre lang einen intensiven Briefwechsel pflegte.
Während des Aufenthalts von Joanna Kuczyńska in Paris im Jahr 1861 weilte Norwid oft in ihrem Salon – er sagte damals, er gehe zum Tee „in Korczew“. Nach einem solcher Besuche hinterließ der Dichter drei Gedichte in einem Postkasten für Joanna Kuczyńska, ihre Tochter Ludwika und ihre Lehrerin Józefa Koszutska: „An die Frau zu Korczew“, „An LK“ und „An Frau Józefa aus Korczew“.
Während des Ersten Weltkriegs besuchte Zygmunt Mysłakowski, einer der frühen Forscher des Werkes des Dichters, Korczew, als er zufällig auf das heute berühmte Foto von Norwid in Konföderierten-Mütze im Album der Familie Ostrowski stieß. Die Entdeckung veranlasste ihn, die Korczew-Archive zu durchsuchen, wobei er einen Teil der Korrespondenz fand. In folgenden Jahren wurden weitere Briefe entdeckt, die nach vielen Wechselfällen auf Wunsch von Krystyn Ostrowski der Nationalbibliothek in Warschau übergeben wurden.
Interessant ist, dass das Foto von Norwid in der Konföderierten-Mütze gerade in Korczew gefunden wurde, weil hundert Jahre zuvor die Zusammenkünfte der Konföderierten im Ballsaal stattfanden. Leider sind die Briefe der Marschallfrau an Norwid nicht erhalten, so dass ihr Inhalt nur aus dem bekannt ist, was der Dichter schrieb.
Im Ersten Weltkrieg wurde der Palast sehr schwer beschädigt. Die Terrasse auf der Rückseite des Gebäudes war völlig zerstört und wurde erst 2018 wieder aufgebaut. Weil der Palast eine gründliche Renovierung bedurfte, beschloss Krystyn Ostrowski, der Besitzer des Palastes, es umzubauen. Seine Frau, die Malerin Wanda Ostrowska, bat ihren Lehrer Stanisław Noakowski um ein Projekt.
Er lehnte ab, weil er als Zeichentheoretiker normalerweise keine Entwürfe erstellte, die für die Umsetzung bestimmt waren. Unerwarteter übersandte er jedoch eine Skizze der Fassade, die den Stil aus der Zeit des Königs Stanisław August Poniatowski nachahmte. Die Fassade des Korczewer Palastes ist bis heute das einzige realisierte Projekt Noakowskis.
Die Renovierung endete kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Krystyn Ostrowski wurde gebeten, sich dem Konvoi anzuschließen, der die polnischen Nationalschätze über die rumänische Grenze in die Türkei und dann nach Frankreich transportieren sollte. Krystyn wurde wahrscheinlich wegen seiner Kontakte in Istanbul während seiner Zeit beim Roten Kreuz gewählt.
Auch seine Frau Wanda, Mutter Helena und die jüngere Tochter Beata schlossen sich dem Konvoi an. Renata, die ältere Tochter der Familie Ostrowski, blieb in Warschau, wo sie als Krankenschwester im Malteser Krankenhaus arbeitete. Nach dem Ende ihrer Mission zog die Familie Ostrowski nach Paris und nach dem Einmarsch der Nazis in Deutschland nach Lissabon und dann nach London. Krystyn bekleidete bis zu seinem Tod 1980 verschiedene Ämter in der Exilregierung. Seit ihrer Emigration war Wanda als Künstlerin tätig, malte Porträts, portugiesische Architektur und die Ruinen Londons nach den Bombenangriffen. Sie starb 1951 im Alter von 56 Jahren.
Während des Krieges wurde der Palast in Korczew zunächst in einen Grenzposten und später in ein Genesungsheim für Soldaten, die von der Ostfront zurückkehrten, umfunktioniert. Das Gebäude erlitt keine großen Schäden, es gab jedoch große Verluste in der Einrichtung: die Deutschen stahlen die meisten Möbel und verbrannten einen großen Teil der Palastbibliothek. Größere Schäden richteten sowjetische Soldaten und nach ihrem Auszug viele Jahre der Vernachlässigung an. Der Palast wurde im Rahmen der Nachkriegs-Bodenreform verstaatlicht und verfiel von Jahr zu Jahr. Der Ballsaal wurde als Lager für Düngemittel genutzt, die den alten Eichenboden zerstörten. Zerbrochene Fenster wurden lange nicht repariert wodurch das Wetter zur allmählichen Verwüstung beitrug. Das einzige Möbelstück, das von der ursprünglichen Einrichtung übrig geblieben war, war ein schwerer Metalltresor.
Beata und Renata Ostrowski kehrten 1989 nach Polen zurück und kauften ihr ehemaliges Familienhaus – den damals völlig verfallenen Palast. Ohne Geld für eine gründliche Renovierung und ohne Erfolgsgarantie renovierten sie das Gebäude nach und nach, unterstützt von Beatas Ehemann Rodney Harris und später auch ihrem Sohn Al. Von Anfang hing am Zaun ein Schild mit der Aufschrift „Touristen willkommen“.
Seit über 25 Jahren werden Sanierungen ohne nennenswerte öffentliche Förderung durchgeführt. In dieser Zeit gelang es der Familie, unter anderem das gesamte Hauptgebäude des Palastes zu sichern, das Erdgeschoss zu restaurieren, zwei Nebengebäude und den Turm zu renovieren und den verwilderten Park zu ordnen. Korczew ist zu einer der wichtigsten Touristenattraktionen der Region geworden. Im Jahr 2018 wurde die Renovierung des Palastes dank europäischer Mittel abgeschlossen. Im Erdgeschoss wurden neue Ausstellungsräume und ein Theatersaal eingerichtet, die Orangerie und die Terrasse wurden wiederaufgebaut.
Im Dezember 2021 brach ein Feuer aus, dem das gesamte Dach und der größter Teil des Obergeschosses zum Opfer fielen. Dank der Beharrlichkeit von mehr als 200 Feuerwehrmännern konnten die Flammen eingedämmt werden, aber das Feuer machte den jahrzehntelangen Bemühungen der Eigentümerfamilie einen Strich durch die Rechnung. Die Zurückversetzung des Gebäudes in den Zustand vor dem Brand ist nun das vorrangige Ziel der Stiftung „Palast Korczew“.